Westfalen Blatt Nr. 7, Paderborn

 

Die Bundesrepublik Deutschland - einsam, verlassen, öde. Sie besteht aus Telefonzellen und einem Kaufhaus. So sehen es zumindest das Auswärtige Amt und die junge Düsseldorfer Künstlerin Astrid André in einem Kalender, der kunstvoll für die Europäische Gemeinschaft werben soll.

 

Ein Kuckucksei im Monat März

Oder: Armes Deutschland - ein Wandkalender des Auswärtigen Amtes

Die Europäische Gemeinschaft zählt so viele Mitgliedsstaaten wie das Jahr Monate - und ein Wandkalender Bildmotive. Als diese wundersame Konstellation einem Beamten des Bonner Auswärtigen Amtes jäh durch den Kopf schoß - so oder ähnlich dürfte es sich zugetragen haben -, war eine sympathische Idee geboren. Ein Jahreskalender, der für das geeinte Europa der Zwölf werben soll, ansprechend und einladend gestaltet, am besten von jungen Menschen, in deren Händen das Schicksal des Staatengebildes einmal liegen wird.

 

In Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Kunstakademie forderte das Auswärtige Amt zwölf Kunststudenten und Absolventen auf, je ein Land der Zwölfergemeinschaft "optisch identifizierbar (aber nicht im Sinne der Touristenwerbung)", so das Ausschreiben, auf einem Kalender-Monatsblatt für 1987 darzustellen.

 

Wohlgemerkt, eine sympathische Idee. Trotzdem könnte es passieren, daß Postminister Schwarz-Schilling empört die Telefonleitungen im Außenministerium heißlaufen läßt und selbst Bundeswirtschaftsminister Bangemann seinem Parteigenossen und Ministerkollegen Hans-Dietrich Genscher geharnischte Briefe schreibt. Warum? Es liegt am Monat März ...

 

Im Januar eröffnet eine Zeichnung des berühmten und belebten Brüsseler Marktplatzes als Sammelpunkt für die sprachlich geteilten Belgier auch euro-symbolisch den Bilderreigen. Großbritanniens "Union Jack" im kühl futuristischen Stil der Computergraphik wirft einen grünen Schatten, der sich als "E" wie "Europa" deuten ließe. Aus dem stolzen gallischen Hahn steigt mit der "Concorde", Frankreichs Prestige-Jet, ein noch stolzerer Vogel empor. Ländlich-Idyllisches steht für Dänemark und die Niederlande, Antikes für Griechenland. Doch zuvor kommt das März-Bild. Die Bundesrepublik Deutschland.

 

Sie besteht aus einem Kaufhaus und Telefonzellen. Ein Kaufhaus, in dem niemand kauft (was Herrn Bangemann wurmt), Telefonzellen, in denen niemand spricht (was Herrn Schwarz-Schilling fuchst). Die Bundesrepublik ist menschenleer. Verödet und verlassen. Tot.

 

All dem zum Trotz verlieh die junge Künstlerin ihrem Bild den Titel "Kommunikation", verstanden "als Appell an die Menschen, miteinander in Verbindung zu treten ..." Alles nur eine Interpretationssache?

 

Beim Blättern in der schmucken Galerie der Länderportraits hält der Kunstfreund verwundert inne. Konnte er ansonsten der europäischen Sache dienliche künstlerische Nettigkeiten attestieren, hebt er vor besagtem Oeuvre ungläubig die Augenbrauen: "Dies soll die Bundesrepublik sein? Das ist kritischer Realismus, so Anfang bis Mitte der 70er Jahre. Ein ganz konventionelles Motiv. Anklagend hielt man damals dem "kapitalistischen System" den Spiegel vor. Vereinsamung der Städte und seelische Verelendung des Menschen um den Preis des Konsums, hießen die Schlagworte. Zwischenmenschliche Kommunikation - die leeren Telefonzellen - findet nicht statt. Das Behindertentelefon links: Randgruppen und Andersdenkende werden nicht toleriert und an die Seite gedrängt. Vielleicht ist aber auch die apokalyptische Vision nach der Explosion der Neutronenbombe gebannt, die Menschen verzehrt und seine Güter schont ...In den Amtsstuben der Brüsseler und Straßburger Euro-Bürokratie hängt die reiche Bundesrepublik Deutschland jedenfalls nun arm, geradezu armselig an der Wand. Genau dieses habe man damit bezwecken wollen, könnte es Haus-Dietrich Genscher entfahren, wenn er von seinen Ministerkollegen (siehe oben) bezichtigt würde, ein Kuckucksei in punkto Selbstdarstellung geliefert zu haben. Wer zöge dem bemitleidenswerten Staat denn noch eine Mark oder ein ECU aus der Tasche? (maz)